Meine Frau mußte mit 
  dem Spülen des Geschirrs vom Abendessen längst fertig sein. Doch ich 
  konnte nicht hören, daß sie ins Zimmer kam.
  Nur von fern nahm ich ihre Existenz wahr, wenn in einer Schublade gekramt wurde 
  oder ihr leichter Schritt aus der Diele an mein Ohr drang. Ich hatte mir ein 
  Kopfkissen unter den Arm geschoben. In dieser entspannten Lage verfolgte ich 
  die Nachrichtensendung im Fernsehen.
  Daß sie nach Hause zurückgekommen war, berührte mich nicht mehr 
  besonders. Ich konnte darüber weder Erleichterung noch Unglück empfinden. 
  Vor fünf Tagen hatte sie vor der Tür gestanden. Wieder war sie ohne 
  sichtlichen Grund von zu Hause weggeblieben.
  Meine Schwiegermutter, die wie üblich während der Abwesenheit meiner 
  Frau den Haushalt geführt hatte, verließ beim Auftauchen der Tochter 
  hastig und kleinlaut das Haus. Es war deutlich, daß sie in die ganze Sache 
  nicht mehr hineingezogen werden wollte.
  Eigentlich hätte ich unter die ganze Angelegenheit mit meiner Frau schon 
  längst einen Schlußstrich ziehen müssen. Aber wieder schien mir 
  der Mut zur letzten Konsequenz gefehlt zu haben. Ich brachte es nicht fertig, 
  ihr die Tür zu weisen, bevor das Kind aufwachte und sich an die Mutter klammerte. 
  
  Als sie in der Dunkelheit vor mir stand, verlegen an den Knöpfen ihres alten 
  Mantels drehend, war eher ein Gefühl von Niedergeschlagenheit in mir aufgestiegen. 
  ängstlich und unschlüssig schien sie vor dem eigenen Zuhause hin und 
  her gegangen zu sein.
  
Erst nach der Heirat hatte 
  ich bemerkt, daß meine Frau an Fernweh oder besser gesagt an einem Wandertrieb 
  leiden mußte. Nur in der Zeit der Schwangerschaft blieb sie von dieser Sucht 
  verschont. Doch in diesem Jahr war sie schon drei Mal grundlos weggelaufen. 
  Ich sah keinen Anlaß mehr, zu fragen, wo sie wieder gewesen war. Denn ihre 
  Antwort kannte ich schon. Manchmal kam es mir vor, als würde dann ihr Erinnerungsvermögen 
  aussetzen, so vage schienen ihre Erklärungen.
  Auf jeden Fall konnte ich aber mit Sicherheit sagen, daß sie sich nicht 
  mit Männern herumtrieb, spielte oder vergnügungssüchtig war. Deshalb 
  hatte ich mich auch bisher nicht zu einer Scheidung durchringen können.
  Mein Schwager, dem ich mich anvertraute, schlug vor, meine Frau einfach ein 
  paar Mal im Jahr auf eine Urlaubsreise zu schicken. Aber es war schon zu spät. 
  Ich konnte nicht mehr jenes tiefe Gefühl für meine Frau aufbringen, 
  das nötig gewesen wäre, um so einen Weg zu gehen.
  Dabei hätte ich für dieses Getriebensein Verständnis haben müssen. 
  Mein eigener Vater war auch ruhelos von Ort zu Ort gezogen. Seine besten Jahren 
  verbrachte er fern der Familie. Die Mutter hatte uns Kinder ohne zu klagen allein 
  großgezogen. Schließlich war der Vater gestorben wie er gelebt hatte. 
  An einem Wegrand hatte man ihn gefunden. Doch ich konnte nicht wie meine Mutter 
  sein. Der Gedanke an diese unerklärliche Sucht ließ Wut in mir hochsteigen. 
  Ich glaubte, meinen Zorn aus mir herausbrüllen zu müssen. Ich richtete 
  mich instinktiv auf und begann, meinen Oberkörper anzuspannen. Die Stimme 
  meines Sohnes Seungil holte mich in die Realität zurück. Lautstark beschwerte 
  er sich, daß er jetzt nicht mehr um mein Bein Zug spielen könne. Ich 
  entspannte mich und schaute meinem Kind ins Gesicht. Sein schmales Profil und 
  die zarte Gestalt erinnerten deutlich an meine Frau. Doch der Fünfjährige 
  machte wenig Probleme. Er nörgelte auch nicht mehr, wenn die Mutter wieder 
  einmal nicht nach Hause kam. Der Kleine war es gewohnt, daß dann der Vater 
  oder die Großmutter neben ihm auf der Matte schlief.
Wovon war meine Frau bloß 
  besessen?
  Mach doch das Fenster auf, hörte ich mich zu meiner Frau sagen, die inzwischen 
  wortlos das Zimmer betreten hatte. Sie brachte einen Hauch Frische mit. Vielleicht 
  empfand ich deshalb die verbrauchte Luft als besonders unangenehm. Ich konnte 
  nur ihren Rücken sehen, da sie vor dem Spiegel ihre Hände eincremte. 
  Kaum hatte sie den Vorhang beiseite geschoben und das Fenster weit geöffnet, 
  strömte auch schon frische kalte Luft herein. Die Vorhänge flatterten 
  im Wind. Er wehte so stark, daß ich die Hochspannungsleitungen in der Nähe 
  deutlich summen hörte. Das Rauschen drang jetzt verstärkt an mein Ohr.
  Reiß doch das Fenster nicht so weit auf, schrie ich meine Frau gereizt an. 
  Der Junge wurde unruhig und ließ seinen Blick ängstlich zwischen Vater 
  und Mutter hin und her wandern.
  Das ist doch kein Grund zum Schreien, entgegnete meine Frau und schloß das 
  Fenster bis auf eine Handbreite. Dann starrte sie in die Dunkelheit, als wenn 
  es dort irgend etwas geben würde. Im dunklen Fensterglas spiegelte sich 
  ihre Gestalt wie das Negativ eines Fotos.
Deutlich hatte der letzte 
  Winterwind nochmals seine Stärke spüren lassen. Im Fernsehen lief gerade 
  der Wetterbericht. Danach sollte der Wind die Vorboten des Frühlings nicht 
  vertreiben können. Die ersten Blumen trugen schon Knospen. Wohin ließ 
  meine Frau nur ihren Blick schweifen? Gab es da etwas im Wind jenseits der Dunkelheit?
  Setz dich doch, Mutti, mischte sich Seungil ein. Er zupfte die Mutter am Kleid. 
  Der Schreck stand ihm noch ins Gesicht geschrieben. Sie streichelte zur Beruhigung 
  seinen Kopf. Dann hockte sie sich zu meinen Füßen nieder. Sie streckte 
  den Arm nach der Zeitung aus. Ihre andere Hand tastete währenddessen nach 
  der Zigarettenschachtel. Nachdem sie sich eine Zigarette angezündet hatte, 
  begann sie in der Zeitung zu blättern. Ich wußte, daß sie die meisten 
  Seiten nur flüchtig überflog. Nur das Fernsehprogramm auf Seite zwölf 
  und die Lokalberichte nahm sie überhaupt zur Kenntnis. Oft schien sie sich 
  mit den Schlagzeilen zu begnügen.
  Während der Rauch der Zigarette aufstieg und sanft um die Lampe schwebte, 
  studierte sie den Anzeigenteil. Noch immer hielt sie in der linken Hand die 
  Zigarette, die sich zur Hälfte bereits in weiße Asche aufgelöst 
  hatte.
  Ich musterte meine Frau. Die hingekauerte schmale Gestalt, die den Rauch in 
  sich aufsog, wirkte unsympathisch auf mich. Wegen des Qualms hatte sie die Augen 
  zugekniffen und die Zeitung ganz nah herangezogen. Augenscheinlich las sie die 
  Spalten mit den Vermißtenanzeigen, die mir zuwider waren. 
  Da standen solche Sprüche wie: Bitte vergiß die Vergangenheit und komme 
  nach Hause zurück. Deine Kinder warten voller Ungeduld auf dich. Oder es 
  wurde irgendein Kim von 46 Jahren gesucht und für Hinweise eine Belohnung 
  von 300.000 Won ausgesetzt. Auch entlaufene geistig verwirrte Personen hoffte 
  man so wiederzufinden. Dummes Zeug, hörte ich mich murmeln. Dabei hatte 
  ich selbst einmal mit dem Gedanken gespielt, ein solches Inserat aufzugeben. 
  Das war zu der Zeit gewesen, als meine Frau zum ersten Mal plötzlich spurlos 
  verschwand. Ich hatte mich elend gefühlt und einen Anzeigentext in mein 
  Notizbuch gekritzelt: Eunsu Choi, weiblich, 28 Jahre alt, 1,58 m groß. Das 
  lag sechs Jahre zurück. Doch die Erinnerung daran blieb unangenehm und verdarb 
  mir die Stimmung.